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Die Ursprungsfassung
Der SV 1916 Sandhausen e.V.
Und täglich grüßte das Murmeltier: Das Vorstandsorchester um Präsident Machmeier, das den Verein aus dem 15.000-Einwohner-Dorf Sandhausen in 20 Jahren von der Oberliga BW bis in die 2. Bundesliga führte,
posaunte seit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga 2012 gebetsmühlenartig in die Fußballwelt hinaus, wie sehr sich die Fans des SV Sandhausen jede Saison aufs Neue freuen dürfen, wenn der Ligazwerg erneut die Gelegenheit bekommt, die "großen" Traditionsvereine im deutschen Unterhaus aufzumischen.
Doch die Agenda hat sich für die Saison 2020/21 etwas verändert. Der Präsident traut dem SVS in seiner 9. Zweitligasaison tatsächlich einen einstelligen Tabellenplatz zu. Seine Zielsetzung geht
kongruent mit dem Ehrgeiz des ambitionierten Cheftrainers Uwe Koschinat
einher, der eine Verbesserung des Tabellenplatzes gegenüber der letzten Saison (10. Rang) anstrebt.
Der Trainer und die Mannschaft
Dieses Vorhaben spiegelt sich auch in der Zusammenstellung des Teams wider, natürlich unter der Berücksichtigung des Claims “WIR! Echt anders.“: Die Nachricht Mitte August, 7 Spieler mögen sich (trotz Vertrag) bitte einen neuen Verein suchen, schlug bei den Fans ein wie eine Bombe, da sich darunter auch Spieler wie Türpitz, Halimi, Frey
oder Paurevic befinden. Sie gehörten letzte Saison zwar nicht zur ersten Elf, sind aber nach Meinung der Fans ein fester Bestandteil des Kaders. Neben den 4 genannten Spielern sollen sich auch
noch Rossipal, Hansch und Dieckmann nach neuen Arbeitgebern umschauen. Was steckt dahinter? Womöglich dürften die genannten Spieler preis-leistungstechnisch am unrentabelsten sein. Klingt zwar
hart, aber da in Corona-Zeiten die Finanzlage der Zweitligaklubs unsicherer geworden ist, könnte somit die sportliche Leitung Kabaca/Koschinat mit dieser Maßnahme eine neue Personalpolitik auf
den Weg gebracht haben: Mehr Klasse statt Masse!
Das zeigen auch die Neuzugänge Diego Contento (LV/Fortuna Düsseldorf), Nils
Röseler (IV/VVV-Venlo), Nikolas Nartey (DM/VfB Stuttgart/Leihe) und “Mr. Bad Guy“ Daniel
Keita-Ruel (MS/SpVgg Greuther Fürth). Letzterer gehört neben Robin Scheu und Julius Biada zu den Spielern, mit denen Koschinat bereits in der Vergangenheit erfolgreich bei Fortuna Köln
zusammenarbeitete. Als Backup für Biada (OM) wurde als fünfter Neuzugang der bald 23-Jährige "Dribbelkönig" Anas Ouahim
(OM/VfL Osnabrück) verpflichtet.
Am schwersten wiegt wohl der Abgang von Leart Paqarada (LV). Der Flügelflitzer und Standardspezialist befindet sich mit seinen 25 Jahren in der Blüte seiner Karriere, ließ aber seine Liaison mit dem SVS am
Saisonende nach 6 Jahren ausklingen und möchte beim FC St. Pauli seinen nächsten Karriereschritt wagen. Ob Neuzugang Diego Contento ihn gleichwertig ersetzen kann? Der frühere
Champions-League-Gewinner konnte letzte Saison nach seinem Kreuzbandriss leider nicht Tritt fassen bei der Fortuna. Doch seine Motivation, am Hardtwald einen Neuanfang zu starten, ist sehr groß.
Da es für ihn momentan noch keine adäquate Backup-Lösung gibt, bleibt diese Position unsere Problemstelle. Noch hat keiner von den 7 Spielern auf der "Blacklist" den SVS verlassen. Ob es wirklich
zum Exodus kommt? Sollten alle wechseln, so verbliebe ein straffer SVS-Kader mit 21 Feldspielern und 4 Torhütern. Man kann davon ausgehen, dass bis zum Ende der Transferperiode (5. Oktober) weiterhin ein Rascheln im Hardtwald zu
vernehmen sein wird.
Die Schlüsselspieler
Beim Ligazwerg lautet das Motto: Der Star ist die Mannschaft - nur im Kollektiv sind wir erfolgreich!
Trotzdem sollten 2 Spieler Erwähnung finden, die enorm wichtig für den Verein sind. Zum einen wäre da Dennis Diekmeier (RV). Der SVS-Kapitän bringt eine enorme Körpersprache mit auf den Platz und pusht seine Spielkameraden auch verbal während der Partie. Letzte Saison
erzielte er mit seinen "reifen" 30 Jahren seine ersten beiden Profitore seiner Karriere (bei 4 Assists). Eins davon gelang ihm sogar beim 5:1-Sieg gegen seinen Ex-Klub HSV am letzten Spieltag. Im
"kicker"-Sportmagazin wurde er mit einem Notenschnitt von 3,09 in die "Elf der Saison" aufgenommen. Zum anderen wäre da noch die "Schaltzentrale" im Mittelfeld, Denis Linsmayer (DM) zu nennen. Seit 2013 stellt er bereits seine Dienste dem Verein zur Verfügung und gehört somit zu den dienstältesten Spielern im
Kader. “Linsi“ verbindet die kämpferischen Elemente mit den spielerischen wie kein Zweiter. Er ist ein Mann der klaren Worte und er übernimmt Verantwortung, sowohl auf als auch neben dem
Platz.
Die Taktik, Stärken & Schwächen
Es ist ganz einfach zu erklären: Hinten hui, vorne pfui! Das Prunkstück unserer Mannschaft ist und bleibt die Abwehr. Das zeigt sich auch in den Zahlen: Mit 45 Gegentoren war der SVS letzte Saison die
viertbeste Mannschaft in dieser Kategorie. Das hängt auch mit der konstanten Zusammensetzung der Viererabwehrkette "Paqarada-Zhirov-Nauber-Diekmeier" (vor dem besten Torhüter am Hardtwald
Martin Fraisl) zusammen. 26 Spiele absolvierten sie in dieser Formation, wobei alle fünf Spieler auf über 30 Einsätze kamen. Apropos Formation: Generell braucht der
Sandhäuser Übungsleiter zur Optimierung seines Pressing-Systems Spieler, die eine hohe Laufbereitschaft und ein robustes Zweikampfverhalten mitbringen. Um Kompaktheit im Zentrum zu schaffen,
Überzahl im Mittelfeld zu gewinnen und das schnelle Umschaltspiel durchzusetzen, setzt "Koschi" auf ein 4-2-3-1-System mit einem Stoßstürmer oder auf ein 4-3-1-2 mit drei defensiven
Mittelfeldspielern, je nach Gegner und Art des Pressings. Am erfolgreichsten spielten die Nordbadener jedoch erst in der Schlussphase der letzten Saison, indem der Koblenzer Spiel(er)verbesserer
ab dem 27. Spieltag in ein 3-5-2 bzw. 3-4-1-2 wechselte. Für Tim Kister (IV),
der fortan in der Dreierabwehrkette agierte, wurde eine Position im zentralen Mittelfeld geopfert. Die Mannschaft stand folglich stabiler und spielte mit den eher offensiv ausgerichteten AV
Diekmeier/Paqarada auch effektiver: Aus 8 Spielen wurden 14 Punkte eingefahren, die zum vorzeitigen Klassenerhalt führten. Diese Formation könnte auch in der neuen Saison zu einer bevorzugten
Variante werden, wobei Neuzugang Röseler, der mit 129 Einsätzen in der ersten holländischen Liga viel Erfahrung sammelte, Kister die Position in der Dreierabwehrkette streitig machen
könnte.
So gut, wie die Mannschaft nach hinten arbeitet, so sehr ist das Angriffsspiel nach vorne eingeschränkt. Nur Dynamo Dresden und der FC St. Pauli schossen in der Saison 2019/20 noch weniger Tore
als der SVS (43). Woran lag es? Eher weniger an der Chancenkreierung, als vielmehr an der Chancenverwertung. Mit 445 Torschüssen (303 Schüsse auf das Tor) befand sich der Ligazwerg doch tatsächlich vor Arminia Bielefeld und dem VfB
Stuttgart an der Ligaspitze, landete aber mit einer Verwertungsquote von nur 9,7% auf dem letzten Rang! Das bedeutet, dem SVS fehlen weitere "Zwangsvollstrecker". Mit dem gestandenen
Zweitligaspieler Keita-Ruel soll sich dies ändern. Er soll Top-Stürmer Kevin Behrens an vorderster Front beim Anlaufen und Toreschießen unterstützen. Es ist damit zu rechnen, dass die Kurpfälzer
des Öfteren mit beiden Stoßstürmern und
Biada als 10er agieren werden, um u.a. mit zweiten Bällen zu mehr Torerfolg zu kommen. In der
Kategorie "Tore nach ruhenden Bällen" gehörte der SVS mit 20 Torerfolgen dagegen zur Ligaspitze, das darf gerne weiter so gehandhabt werden. Um die gegnerischen Abwehrreihen auch aus dem Spiel
heraus in Angst und Schrecken zu versetzen, muss mehr vom Mittelfeld kommen. Als Hauptprotagonisten für die 8er-Position gelten der wiedergenesene Erik Zenga (Kreuzbandriss) und Neuzugang Nikolas Nartey.
Die Vorbereitung
Es ist immer schwierig die Form einer Mannschaft während der Testspielphase einzuschätzen, da Testspiele dazu da sind, Positionen und Formationen auszutesten. Deshalb lassen wir das lieber.
Ergebnistechnisch gesehen: Nach der hohen Niederlage gegen den VfB Stuttgart (1:6) zu Beginn der Vorbereitung, steigerte sich das Team von Wrestling-Fan Koschinat in den
folgenden Testspielen. Einem 3:3-Remis gegen den französischen Zweitligisten AS Nancy folgte ein 1:0-Sieg beim Erstligisten 1. FSV Mainz 05. Mit den beiden Testspielen am 04.09. und 05.09.2020
gegen die Drittligisten SV Wehen-Wiesbaden und den 1. FC Kaiserslautern schließt der SVS das Trainingslager ab, ehe am 13.09.2020 das erste Pflichtspiel beim Regionalligisten TSV Steinbach Haiger (1. Runde DFB-Pokal) ansteht. Am 19.09.2020 ist dann am 1.
Spieltag der 2. Bundesliga der SV Darmstadt 98 im BWT-Stadion am Hardtwald zu Gast.
Meine Erwartung an die Saison
Erwartungen werden an der Börse gehandelt, das sollte man bei Fußballvereinen tunlichst vermeiden. In erster Linie erhoffe ich mir durch die vielversprechenden Neuzugänge wieder einige geile
Spiele und Siege unseres SVS. Ob die Saison mit einem quantitativ reduzierten Kader so durchzuhalten ist? Dabei spielt auch das Verletzungsglück eine gewichtige Rolle. Was die Platzierung
betrifft, mag für einige SVS-Fans ein einstelliger Tabellenplatz zwar eine erstrebenswerte Zielsetzung sein, doch sollten die Schwarz-Weißen über die gesamte Saison lediglich die Abstandsregelung
einhalten (stets über Platz 15), wären die meisten Anhänger sicher nicht unglücklich darüber. Denn seit 1950 stieg der SVS erst 2 Mal in die nächstniedrigere Spielklasse ab und das darf gerne
weiter so bestehen. Aber eines ist sicher: Das Teilnehmerfeld der 2. Bundesliga wird auch in dieser Saison dafür sorgen, dass viele Mannschaften in der Tabelle wieder kuschelig eng beieinander
liegen.
Bericht von Hans J. Wagner (Hans74)